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Hypnose-Mythen: Macht- und Willenlosigkeit

Neu hier? Dann empfehlen wir zunächst unseren Grundlagen-Artikel zu lesen: Was ist erotische Hypnose.


Hypnose ist ein Instrument, dem manche Menschen eine nahezu magische Macht zuschreiben. Der Mythos, dass Hypnose Menschen zu willenlosen Automaten macht, ist weit verbreitet und wird zum Beispiel in der Showhypnose oft noch immer genutzt und bestärkt. Der Mythos der Willenlosigkeit ist es auch unter anderem, der Hypnose für viele BDSMer ausgesprochen attraktiv macht.

Die schlechte Nachricht für Mind Control-Fans: Eine hypnotische Trance macht weder willenlos, noch zwingt sie den Hypnotisanden unter die Gewalt des Hypnotiseurs. Unter Hypnose werden nur die Suggestionen angenommen und umgesetzt, die für das Unterbewusstsein akzeptabel sind und von dort Zustimmung erhalten.

Die gute Nachricht: Wer aufgrund submissiver Neigungen ein Machtgefälle, und dort insbesondere den Zwang der Machtlosigkeit erotisiert und daraus Wohlgefühl ableitet, kann der Suggestion einer Macht- und Willenlosigkeit in der Hypnose zustimmen und diese Willenlosigkeit zu seiner subjektiven Realität machen.

Auch wenn die Frage nach der Willenlosigkeit experimentell nicht leicht zu entscheiden ist, weil der Charakter eines Experiments dem Probanden grundsätzlich die Verantwortung abnimmt, schließt der heutige Stand der Forschung nach Meinung maßgeblicher Autoren praktisch aus, dass ein Individuum unter Bedingungen der hypnotischen Trance als der Kontrolle über seinen Willen beraubt angesehen werden kann. [1]

Die bisher vorliegenden systematischen Studien und Literaturzusammenfassungen […] kommen einhellig zu der Auffassung, dass in hypnotischer Trance nichts zugelassen wird, wofür nicht eine, wenn auch wahrscheinlich nichtintegrierte Bereitschaft vorliegt. [1]

Die Macht des Unbewussten

In einer Hypnose tritt der kritische Teil des Bewusstseins in den Hintergrund. So ist es möglich sich ähnlich wie in ein Märchen oder einen spannenden Fantasy-Film ganz in einer Realität versinken zu lassen, die einer nüchternen, logisch-rationalen Betrachtung nicht standhalten würde. Die Ratio läuft nur noch als innerer Beobachter mit oder “schläft” ganz.

Trotzdem ist der Hypnotisand keineswegs schutz- und willenlos. Der überwiegende Anteil an alltäglichen Entscheidungen und nahezu alle Entscheidungen in Stress- und Notsituationen werden nicht bewusst getroffen, sondern unbewusst oder intuitiv (und ggf. nachträglich rationalisiert).

Das Unterbewusste arbeitet auf der Basis von Glaubenssätzen und Wertesystemen: Muster, die aufgrund von Erfahrungen gebildet wurden und nur in einem therapeutischen Prozess veränderlich sind, der alle relevanten Persönlichkeitsanteile mit einbezieht und der (subjektiv) positiven Weiterentwicklung des Klienten dient. Jede Suggestion, die “mal eben” einer der tiefliegenden Überzeugungen des Hypnotisanden widerspricht, wird abgelehnt, bei einem starken Widerspruch schwächt sich gleichzeitig der Rapport, unter Umständen wird die Hypnose sogar vom Hypnotisanden beendet.

Grundsätzlich hat der Hypnotisand verschiedene Möglichkeiten, auf eine Suggestion zu reagieren – Zustimmung, Ablehnung, Indifferenz. Damit eine Suggestion wirksam wird, ist eine Zustimmung der relevanten unterbewussten Persönlichkeitsanteile nötig: “Ja, genau! Diese Suggestion passt! Ich weiss, dass sie funktioniert!” Gleichgültigkeit, Ablehnung und meist auch die zögerliche Hoffnung, dass es schön wäre, wenn eine Suggestion funktionieren würde, führt dagegen dazu, dass die Suggestion nicht umgesetzt wird.

Der Hypnotisand kann mit zunehmender Selbsterfahrung dieses Ja seines Unbewussten erkennen, und weiss schon, während die Suggestion ausgesprochen wird, ob diese wirksam ist oder nicht. Als Hypotiseur kannst du dich im Zweifel dieser Zustimmung vergewissern, indem du um ein Zeichen bittest (“Wenn du weisst, dass diese Suggestion ganz genau so passieren wird, wie ich es gesagt habe, hebe jetzt den Zeigefinger deiner rechten Hand”).

Ein Beispiel aus der Praxis: Ich hatte eine junge Frau in einer erotischen Trance, suggerierte viele Hände, die sie berühren und erregen. Mein Opfer wand sich, genoss sichtbar und ging wunderbar mit. Doch als ich ihr zuflüsterte, “Du bist wunderschön” wurde sie sofort steif und runzelte die Stirn.

Was war passiert?

Meine Hypnotisandin hatte (leider, leider) ein gestörtes Selbst- und Körperbild und war tief in ihrem Inneren davon überzeugt, nicht attraktiv zu sein. Diese Überzeugung hatte ich mit meinem Satz verletzt. Der eingetretene Rapportverlust liess sich wieder auffangen, trotzdem war klar, dass sich an diesem Glaubenssatz nicht so ohne weiteres kratzen lässt.

Hypnose und Manipulation

Menschen tun ständig aus allen möglichen Gründen Dinge, die sie eigentlich nicht wollen. Und selbstverständlich kann ein geschickter Manipulator manche Menschen dazu bringen, manche Dinge zu tun, die ihnen oder anderen schaden. Dazu bedarf es erstens der (ggf. auch rein unbewussten und nicht-integrierten) grundlegenden Bereitschaft des Manipulierten, diese Dinge unter bestimmten Umständen zu tun, und zweitens der Kommunikation. Hypnose ist eine Form intimer Kommunikation und damit grundsätzlich ein mögliches Mittel (auch böswilliger) Manipulation. Das bedeutet allerdings nicht, dass diese Manipulation nicht auf anderem Wege ebenfalls hätte erreicht werden können.

Eine häufig gestelle Frage ist beispielsweise die, ob eine professionelle Domina einen zahlenden Klienten mittels Hypnose dazu bringen kann, mehr Geld bei ihr zu lassen, als ihm guttut. Die Antwort: Ja, natürlich. Wenn: ein Rapport besteht, der Klient von seiner Machtlosigkeit in der Hypnose zutiefst überzeugt ist, weil er genau diesen Aspekt anregend findet, und/oder wenn er ohnehin dazu neigt, zuviel Geld für bezahlten Sex auszugeben (und lediglich sein rationales Bewusstsein ihn davon abhält, sich zu ruinieren). Da diese Faktoren bei der Kundschaft einer professionellen Hypnose-Domina nicht allzu selten zusammentreffen dürften, ist es möglich, auf diese Weise Geld zu verdienen – genauso, wie es für einen Profi möglich ist, einem Kunden durch herkömmliches Kobern (Vorenthalten von vereinbarten Leistungen und weitere Geldforderungen in Momenten höchster Erregung) sein Geld aus der Tasche zu ziehen, oder in Vergnügungsvierteln betrunkene Touristen um ihre Ersparnisse zu erleichtern.

Machtlosigkeit als Fetisch

Kurz: Ob eine Person unter Hypnose ein Gefühl der Macht- und Willenlosigkeit erlebt, hängt davon ab, ob sie das erwartet und erleben möchte oder nicht. Wird die Hypose als BDSM-Praktik im Rahmen eines Machtgefälles eingesetzt, stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Suggestion der Willenlosigkeit enthusiastisch angenommen und erotisiert wird.

Das kann im Extremfall dazu führen, dass der Hypnotisand sich übernimmt und Dinge tut oder erlebt, die er oder sie nicht tun oder erleben möchte – solange die Faszination der Machtlosigkeit größer ist als der subjektive Schaden. Ist der Wunsch nach Willen- oder Machtlosigkeit nicht-integriert (also dem Bewusstsein nicht zugänglich) oder deutlich größer als bewusst wahrgenommen und bekannt, kann dies durchaus zu Überraschungen führen.

Dasselbe gilt für Fälle, in denen der hypnotische Kontrollverlust zwar kein Wunsch, aber trotzdem eine starke Erwartung ist, eine falsche Vorstellung davon, wie Hypnose funktioniert, die das Unbewusste dann in die Realität umsetzt. Hier ist es wichtig aufzuklären und die Selbstwirksamkeit des Hypnotisanden zu stärken, so dass unpassende Suggestionen leichter abgelehnt oder angepasst werden können.

Umgekehrt kann es allerdings genauso vorkommen, dass sich der Hypnotisand ein Gefühl der “Gedankenkontrolle” sehnlichst wünscht, sich auf diese Suggestion und Vorstellung aber noch nicht vollständig einlassen kann. Manchmal liegt eine (vielleicht auch völlig unbewusste) Nervosität vor dem Kontrollverlust zugrunde: Denn tatsächlich ist eine Ambivalenz bezüglich sexueller Phantasien nicht ungewöhnlich, und es kickt gerade das am meisten, was auf einer anderen Ebene auch mit Angst oder gar Abscheu besetzt ist.

Wenn wir von gegenseitigem Wohlwollen der Beteiligten und von einvernehmlichem BDSM ausgehen, gilt daher für die Hypnose als Spielzeug das gleiche wie für die meisten anderen BDSM-Techniken auch: kleine Schritte, langsam herantasten, Feedback einholen und das Ganze gegebenenfalls in gemeinsamer Absprache steigern.

Hast du schon einmal Machtlosigkeit in Hypnose erlebt? Geplant oder unbeabsichtigt – wie war das für dich? Lass es mich in einem Kommentar wissen!

Weitere Infos zur Hypnose-Sicherheit

Was genau ist Hypnose überhaupt, und wie kann sie deine Sexualität bereichern? In welchen Fällen ist Vorsicht geboten – für dich als Hypnotiseur oder als “Subjekt”? Macht Hypnose willenlos? Wie formuliert man Suggestionen sicher? Wie gehst du als Empfänger mit unerwünschten Inhalten um, und was passiert mit den Triggern in deinem Kopf, falls eine Hypnose-Beziehung endet?

Wir geben Antworten auf diese Fragen, und dazu noch Sicherheitstipps für Online-Hypnosen: von schmutzigen Audiofiles aus den dunklen Tiefen des Internets, über Hypnose mit Fremden in Chat-Communities, bis hin zum Spiel mit etablierten Partnern auf die Ferne.

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[1] Revenstorf, Peter (Herausgeber): Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin, 2. Auflage, 2009, S. 142

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